Funktioniert ein Stummfilmklassiker im modernen Kino? Ja und wie, davon konnte ich mich am Freitag den 02.Februar 2024 selbst überzeugen. Der Abend wurde zu einem außergewöhnlichen Konzerterlebnis. Im Weißenburger Kinocenter wurde der Stummfilm-Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gezeigt. Das Besondere dieser Aufführung war die musikalische Begleitung des Filmes, live umgesetzt durch die Weißenburger Band „Sutcliffe“.
Zunächst etwas zum Film. Er gilt eigentlich als der erste Psychothriller, ein expressionistisches Meisterwerk und der wohl einflussreichste deutsche Stummfilm aller Zeiten. Einer Geschichte über Angst, Identitätsverlust und den Missbrauch von Macht. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ist ein wahrer Alptraum in sechs Akten – und der erste Welterfolg des deutschen Kinos. Die Geschichte über einen Schlafwandler, der unter dem Einfluss seines dämonischen Herrn, dem zwielichtigen Dr. Caligari, als Jahrmarktsattraktion herumgezeigt wird und nachts mordet.
Seiner Zeit weit voraus, entstand dieser Film in Weissensee bei Berlin vor über 100 Jahren. Der Regisseur Robert Wiene kehrte den Wahnsinn seiner Protagonisten nach außen: er erschuf schiefe Schornsteine, kippende Häuser, Dächer, die im Zick-Zack verlaufen. Die Darsteller geistern durch eine Traumwelt, als seien sie Teil eines expressionistischen Gemäldes. Im ausverkauften Kino wurde eine im Auftrag der Murnau-Stiftung aufwendig digital restaurierte Fassung gezeigt, von der die Restauratorin Anke Wilkening sagt: „Sie sehen den Film jetzt in einer völlig neuen Form. Es sind plötzlich Details da, die vorher nicht erkennbar waren“.
Neu war nicht nur die restaurierte Fassung des Films, sondern auch die musikalische Begleitung dazu. Die Weißenburger Instrumental-Band „Sutcliffe“ hat im Sommer 2023 ein besonderes Projekt entwickelt. Die Musiker haben für den beschriebenen Stummfilmklassiker und Meilenstein der Filmgeschichte neue Musik geschrieben. Um diesen Film zu untermalen, gab es schon eine Reihe neuerer Kompositionen, bisher hauptsächlich für Orchester. Die Art der Instrumentierung durch Sutcliffe ist nicht nur neu, sondern mehr als außergewöhnlich. So ganz fremd ist dieser Band aber die Kombination Musik/Film nicht, denn 2012 vertonte Sutcliffe unter anderem den Kurzfilm „Rauchzeichen“ des Regisseurs Gabriel Borgetto, der auf ARTE zu sehen war. Die Kombination von Bildern, Visualisierungen und Filmszenen mit Musik zählt schon lange zur Konzeption der Band.
Wie realisierte Sutcliffe dies sicher nicht einfache musikalische Unterfangen? In den „Nürnberger Nachrichten“ war folgendes zu lesen: „Um „Das Cabinet des Dr. Caligari“ instrumental zu untermalen, hing bei Sutcliffe ein großer Fernseher im Bandprobenraum in Weißenburg. Auf einem Flipchart notierte die Band die einzelnen Szenen und komponierte die Musik in der passenden Stimmung und Dynamik.“
Vom Ergebnis dieser Leistung konnte ich mich an diesem Abend selbst überzeugen, was soll ich sagen, ich war begeistert. Eine anfängliche Skepsis bei dieser Kombination kann ich nicht verleugnen, aber mühelos wurde ich vom Gesamteindruck überrascht und in seinen Bann gezogen. Zuerst habe ich neben dem Bild noch häufig auf die Band und das musikalische Geschehen geachtet. Aber erstaunlich schnell konnte ich mich ausschließlich auf die Filmhandlung und das damit verbundene musikalische Erlebnis einlassen. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, da sitzt eine Live-Band, so sehr verschmolzen Bild und Musik. In meinen Augen glückte an diesem Abend ein spektakuläres Gesamtkunstwerk das ich gerne nochmals sehen würde.