Genesis – Calling all Stations

 Ein Neustart….

Im März 1996 gab Phil Collins seinen Abschied von der Band bekannt: „Nach über 25 Jahren bei Genesis bin ich zu der Ansicht gekommen, dass es Zeit ist, die Richtung meines musikalischen Lebens zu verändern. Für mich zählen jetzt Filmmusik, einige Jazzprojekte und natürlich meine Solokarriere“ O-Ton Phil Collins. Das Ende von Genesis schien damit besiegelt zu sein. Umso überraschender war es dann im Sommer 1997, als es hieß: Genesis wollen es mit einem neuen Album und einem neuen, dem inzwischen dritten Sänger, noch einmal wissen.

Die verbliebenen Gründungsmitglieder der Band –Tony Banks und Mike Rutherford – symbolisierten mit der Wahl von Ray Wilson sich vom Image einer Pop-Band  lösen zu wollen, hin zu einer möglichen Rückbesinnung in Richtung Progressive-Rock.  Wilson ehemals Sänger der Grunge-Band „Stiltskin“ übernahm die Rolle des neuen Frontmanns. „Calling all Stations“ wurde das bislang letzte Studioalbum von Genesis. Als Schlagzeuger wirkten Nick D’Virgilio und Nir Zidkyahu  mit.  Das Album startet mit dem gleichnamigen Titelsong „Calling all Stations“ einem Stück das einen  aufhorchen  lässt, ein düsteres Musikgemälde bei dem Ray Wilson seine Qualitäten als Sänger unter Beweis stellt. Ein monumentales Stück Musik, wie lange von Genesis nicht mehr gehört. Auch wenn Phil Collins durchaus eine Lücke hinterlässt, Wilson weiß  diese auf seine Art zu füllen und hinterlässt auf dem gesamten Album einen beachtlichen Eindruck. Erst als das Songwriting beendet war und die Produktion fast abgeschlossen, kam Wilson zur Aufnahme des Albums hinzu, damit war sein Einfluss auf die Kompositionen eher unwesentlich. So entwickelte sich das Ganze mehr zu einem Banks/Rutherford Projekt.

Das Album umfasst längere sehr komplexe Stücke wie „One  Man’s Fool“, „Alien Afternoon“ oder „The Dividing Line“ und einfachere Songs wie „Shipwrecked“ oder „Not About Us“. Wer dieses Werk etwas auf sich wirken lässt erkennt den Reiz der einzelnen Titel, die sich nach und nach entfalten. Die gesamte Produktion  stand in seiner Struktur in der Tradition früherer Genesis-Aufnahmen. “Calling All Stations“ war sicher kein Meilenstein in der Historie der Band, es wurde ein solides, aber unterschätztes Album mit Potential zur Weiterentwicklung, die dieser Besetzung dann letztlich versagt blieb.

Gründe hierfür gibt es wohl viele. Der Verlust des Sympathieträgers Phil Collins, das Fehlen von Hits und vielleicht eine etwas halbherzige Promotion. Eine mit 23 Konzerten geplante US-Tournee wurde mangels entsprechender Ticketverkäufe abgesagt. Eine Folge hiervon war, dass das Album für Genesis Verhältnisse auf dem US-Markt zu einem kommerziellen Misserfolg wurde. Weniger in Europa, hier gab es eine Tour mit 47 Auftritten von Januar bis Mai 1998.  Dieser Rückschlag trug mutmaßlich dazu bei, dass Genesis in dieser Besetzung kein weiteres Album mehr produzierte. Ein Novum für die Band war, es war die erste Tour seit den 70′ ohne Phil Collins. Neben den elf auf dem Album enthaltenen Stücken wurden noch acht weitere Titel in dieser Formation aufgenommen die aber nie komplett veröffentlicht wurden. (darunter zwei Instrumental-Aufnahmen) Der Rest ist seitdem Geschichte.

Nachtrag: München Olympiahalle 27.03.1998 „Calling All Stations-Tour“

Zusammen mit meinem damals 15 jährigen Sohn habe ich dieses Konzert besucht. An den Auftritt von Genesis habe ich ehrlicherweise nur bruchstückhafte  Erinnerungen. Viele der Songs aus der Collins/Gabriel Ära wirkten auf mich reichlich uninspiriert, dies lag meiner Meinung nach auch an Ray Wilson, der eben kein Phil Collins war und ist. Er wurde unfairer Weise von den beiden Ur-Mitgliedern Rutherford/Banks in ein Konzertkonzept gepresst das dem der letzen Tour mit Collins sehr ähnlich war. Da konnte er nur verlieren. In einer Kritik der „Augsburger Allgemeinen“ zum Auftritt in München war damals unter der Überschrift „Ohne Zauber“ zu lesen, die Band wäre nach dem Fortgang von Collins einen Sänger zu weit gegangen. Wilson musste sich übergroße Schuhe anziehen und machte seine Sache auf der Bühne brav, aber auch nicht mehr. Den älteren Titeln konnte er keinen eigenen Stempel aufdrücken.  Die Einzigartigkeit eines Entertainers wie Phil Collins wurde wohl an diesem Abend jedem Zuhörer bewusst.

Dennoch erinnere ich mich an vier Stücke aus dem Album „Calling all Stations“ bei denen Ray Wilson zeigte welch hervorragender Sänger er ist. Nicht umsonst wurde er mit dieser Stimmqualität der neue Mann bei Genesis. Unter diesen waren zum Beispiel das gleichnamige Titelstück des Albums,  sowie „The Dividing Line“ und  „Congo“. Dahinter stand er, dass war zu spüren. Auch ein Acoustic-Teil,  bestehend aus 4 sehr unterschiedlichen Titeln verschiedenster Phasen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwierig es für Ray Wilson war sie authentisch zu interpretieren. Besonders negativ erinnere ich mich an eine der Zugaben, es war „I can’t Dance“ ein Stück das unwiderruflich mit Phil Collins verbunden ist. Hier tat er mir fast leid.  Nach 2 ½ Stunden gingen die Lichter in der Olympiahalle wieder an. Ich sah in teilweise fragende Gesichter, viele der Fans wussten nicht so recht wie dieser Abend einzuordnen  war. Nach der Europa-Tournee und diversen Open-Air Auftritten in jenem Sommer, gaben Rutherford und Banks das Ende dieser Formation von Genesis bekannt.

Ray Wilson machte zunächst alleine weiter und überzeugte im Laufe der Jahre mit unterschiedlichen Solo-Veröffentlichungen. Bei vielen seiner Konzerte konnte er mich mit seiner ausdruckstarken Stimme und seinem Songwriting für sich gewinnen. Im Laufe seiner Solo-Karriere stellte er sich eine hervorragende Band zusammen die es vermag seine Kompositionen perfekt in Szene zu setzen, zu dieser Formation zählt seit vielen Jahren sein Bruder Steve an der Gitarre.  Seit dem Ende von Genesis ist er bis heute nahezu permanent auf Tour.  Einen Superstar-Status erlangte der sympathische und bodenständige Wilson in seiner Karriere nicht, er blieb immer mehr etwas für Insider. Dafür ist sein musikalisches Werk unglaublich gut und als Live-Künstler eine Klasse für sich, ein Konzertbesuch lohnt sich auf jeden Fall. Mit unzähligen Tourneen,  in den unterschiedlichsten Varianten hat er sich inzwischen eine große und treue Fan-Gemeinde geschaffen.