Ray Wilson – eine Stimme von Genesis Teil 2

Die Zeit nach Genesis

Im Laufe der Jahre gab es viele Solo-Veröffentlichungen von Ray Wilson, unter anderem eine Reihe von Live-Mitschnitten ob mit Band oder Solo. Über alle Veröffentlichungen sprechen zu wollen würde hier den Rahmen sprengen. Daher werde ich ein paar Beispiele herauspicken die mir besonders gefallen. Ich beginne mit einem Live-Album, aufgenommen 2004 in der Music Hall in Worpswede. Dieser Mitschnitt gibt die Live-Qualitäten von Wilson eindrucksvoll wieder, ehrlich, erdig und stimmlich überzeugend. Es ist für mich eines der besten Live-Alben der letzten Jahrzehnte. Bei vielen seiner Konzerte konnte ich dies immer wieder erleben.

Zu Anfang seiner Solo Karriere traf ich ihn persönlich im „Spectrum“ in Augsburg, an jenem Abend war er „nur“ Vorprogramm von SAGA.  Nach seinem Auftritt hatte ich die Gelegenheit mich ein wenig mit ihm zu unterhalten und verspürte dabei eine gewisse Verunsicherung was seine musikalische Zukunft betraf. Das erste wirkliche Solo-Debüt „Change“ erschien nur kurze Zeit nach diesem Konzert. Etwa zur gleichen Zeit schrieb eine Reporterin aus Duisburg über Wilson als sie ihn zu einem Interview traf: „Es ist vor allen Dingen seine Stimme die mich fasziniert – auch ohne gesanglich in Szene gesetzt zu werden. Es gibt einfach Stimmen, die man nie mehr vergisst. Ray Wilson hat so eine.“  Davon konnte ich mich in dem kurzen Gespräch mit Ray selbst überzeugen, eine Stimme mit Gänsehaut-Charakter.  Er, der mit Genesis die großen Hallen füllte, bevorzugt bis heute die kleineren, persönlicheren Bühnen.  In besagtem Interview führte er weiter aus: „Ich mag diese Intimität, ich mag es die Gesichter der Leute zu sehen und auch nach dem Konzert mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Sicherlich sind große Stadien für einen Musiker reizvoll und gleichzeitig faszinierend, aber ich würde mich persönlich immer für eine kleinere Spielstätte entscheiden.“ In einer Musikzeitschrift stand in einem Kommentar: „Vergessen wir also mal, dass Ray Wilson für kurze Zeit als Sänger bei Genesis aktiv war. Diese Tatsache hilft seinem Bekanntheitsgrad und verfeinert die Setlist der Livekonzerte. Doch für die musikalische Qualität ist es irrelevant. Gerade wenn Ray seine eigenen Stücke singt, wird die Magie der Konzerte wirksam. Ob es Klassiker sind wie „Change“ und „The Actor“ oder Stücke eines neu erscheinenden Albums – er nimmt seine Hörer gefangen und führt sie vom Mitsingen der Genesis-Klassiker in seine ganz eigene Welt.“ Diesen Ausführungen muss man nichts hinzufügen!

Sein erstes Solo-Album hieß treffend „Change“ und wurde 2003 veröffentlicht, hier verarbeitete er das Ende mit Genesis und setzt auf „handgemachte“ Songs. Mit diesem Album hatte sich der Schotte endgültig freigeschwommen. Ich empfinde ihn als einer der wenigen im Musikbusiness der es nicht nötig hat, irgendwelchen Trends oder Spielereien nachzulaufen, er geht musikalisch seinen eigenen Weg.

Ein für mich besonders außergewöhnliches Album ist „Song for a Friend“. Ray legt hier eine Sammlung von musikalischen Kurzgeschichten vor, die seine textliche und musikalische Qualität deutlich machen. Es sind Geschichten die das Leben schreibt, in ihnen drückt er seine innersten Gefühle aus. Es spielt keine Rolle ob Konzert oder Album – immer eine Entdeckungsreise durch die Gemütszustände des Lebens. Bestes Beispiel hierfür ist das Titelstück, dass er seinem Freund James Lewis widmet, welcher sich 2015 das Leben nahm. Ein weiteres Zeugnis für interessante Geschichten ist der Opener „Old Book On The Shelf“, es  spielt in einer Bar in Amsterdam, dort steht in einem Regal nur ein einziges Buch. Dies erzählt die Lebensgeschichte seines Protagonisten, ist wunderbar beschrieben und  umgesetzt, es wirkt wie ein Bindeglied für die Songs. Er zeigt sich hier als Meister der Melancholie, die sich ohnehin wie ein roter Faden durch sein ganzes Werk zieht. Er lässt es hier ruhiger angehen als bei vorherigen Produktionen, seine starke Stimme kommt hier noch mehr zur Geltung. Die Instrumentierung ist eher zurückhaltend – wenn auch nicht so puristisch wie seiner Zeit auf „Live And  Acoustics“. In knapp 45 Minuten wird meisterhafte akustische Gitarrenmusik geboten. Das Album dreht sich beispielsweise um alte Freunde und die Trauer, wenn man sich erst auf einer Beerdigung wieder trifft. In „Backseat Driving“ beschreibt Wilson das Leben auf Tournee, er der fast unentwegt tourt und welch Kraftaufwand dies für alle Beteiligten bedeutet. Insgesamt ist „Song For A Friend“ ein homogenes Album, dass die Qualität der großen Songwriter in unsere Zeit transportiert. Uwe Metzler, der schon öfter für Ray in die Saiten griff unterstützt Wilson auch auf diesem Album auf unverwechselbare Weise.

Seiner Zeit gab es Überlegungen es sollte ein Doppel-Album entstehen. Plan war einen Akustik-Teil und einen rockenden Teil zu veröffentlichen um beide Seiten von Wilson gegenüber zu stellen, diese Idee wurde dann aber verworfen und beide Alben wurden einzeln veröffentlicht. Das zweite Album erschien dann im gleichen Jahr 2016 und heißt „Makes Me Think of Home“, es stellt eine perfekte Verbindung zwischen Pop und Rock dar.  Das Titelstück zum Album ist eine Art Rückblick auf sein Leben in Schottland, seine Heimat, die er verließ. Auch politische Themen wie das schottische Referendum greift er auf, in dem Song »They Never Should Have Sent You Roses« wird es thematisiert. Sein Augenmerk lag hierbei auf der Spaltung der Familien und der Nation. Das Album stellt sich stilistisch wieder geradliniger dar als seine Vorgänger, es bietet schöne Singer/ Songwriter-Balladen, aber auch poppige Stücke und kleine Abstecher in Richtung Prog Rock, sogar Westcoast ist mit dabei.

Deutschland und Polen

Die letzten Jahre tourte Ray Wilson mit seiner Band vor allen Dingen durch Deutschland und Polen. Letzteres wurde ihm zur zweiten Heimat – der Liebe wegen zog er hier hin. In Posen feierte er im September 2018 mit zwei großen Konzerten seinen 50. Geburtstag. In einer Zeitschrift war in einem Interview mit ihm folgendes zu lesen:
Er schätzt das Publikum in diesen beiden Ländern, was er auch in diesem Gespräch betont: „Ich mag das Publikum in Mitteleuropa. Es zeigt während der Konzerte viele Emotionen – besonders in Regionen mit weniger Reichtum. In Skandinavien hingegen sind Konzerte für mich als Künstler nicht so aufregend. Die Leute gehen dort, um ehrlich zu sein, wenig aus sich heraus.“
Ray Wilson scheint in seinem Leben angekommen zu sein. Er wirkt relaxed und zufrieden, hat seinen Weg beruflich wie auch privat gefunden. „Ich liebe mein Leben wie es ist. Ich bin dankbar dafür, wie es verlaufen ist. Ich hatte tolle Zeiten – eine Nummer-eins-Single, meine Zeit mit Genesis. Und nun arbeite ich mit einer tollen Crew zusammen – mit talentierten, jungen Musikern in meiner Band und den Leuten im Büro, die alle einen Super-Job machen. Gesund bleiben, das ist für mich eigentlich das Wichtigste.“
Was sind Deine Wünsche für die Zukunft, will der Reporter von ihm zum Abschluss seines Gesprächs wissen. Die Antwort des 50-Jährigen kommt lachend wie aus der Pistole geschossen: „Noch meinen 60. Geburtstag zu erleben.“

Das wollen wir doch alle schwer hoffen, ich glaube Ray hat auch in Zukunft noch viel zu bieten….